Straßburg, 20. August 2016
Abends in Straßburg. Unser Freund war das letzte Mal vor ungefähr 35 Jahren hier. Er besuchte damals immer die Gerber Stub. Wir finden sie unweit unseres Hotels. Doch am Samstag-Abend gegen acht sind alle Plätze belegt. Der freundliche Wirt, ein älterer Herr, lässt sich schließlich überreden, um 9 einen Tisch für uns zu reservieren. Wir gehen durch das alte Stadtviertel La Petite France mit seinen Kanälen, Fachwerkhäusern und seiner unwiderstehlichen Mittelalterromantik. Von der Gedeckten Brücke machen wir das obligatorische Foto mit dem Henkersturm und dem Münster im Hintergrund: im Abendrot entstehen höchst romantische Bilder. Dass Goethe hier seine Liebe zum Mittelalter entdeckte, ist nur allzu verständlich. Diese Häuser strahlen Gemütlichkeit, Geborgenheit, Wärme aus. Dazu die riesigen Platanen, die Spiegelungen im Wasser, der verführerische Duft aus den Weinstuben. Vergangenheit erscheint hier viel schöner als die Gegenwart und wir lassen uns gerne in diese Zeitreise mitnehmen, obwohl wir es besser wissen. Dann betreten wir um Punkt neun erneut die Gerber Stub. Der freundliche Wirt bedauert: die Gäste belegen noch immer alle Tische. Ein Paar erhält dennoch Zutritt. Zwei sind leichter als vier unterzubringen, entschuldigt sich der Wirt und bietet uns einen Muscadet als Aperitif an, nachdem unser Freund ihm erzählt hat, dass hier alles noch wie vor 35 Jahren wirkt. Dann dürfen wir endlich die knarzende Treppe hochsteigen: der Speisesaal strahlt die Wärme seiner Holzvertäfelung aus. Seine Decke wird von dicken Balken getragen. Unser Freund bestellt dasselbe Gericht wie vor 35 Jahren, also mittelalterlich deftig: Sauerkraut mit Schlachtplatte. Das Kraut hat einen wunderbar leichten, prickelnden Geschmack. Ihm fehlt die Schwere des schwäbischen Sauerkrauts. Sicher würde es mit Champagner zubereitet. Ich versuche das Sauerkraut mit verschiedenen Fischen und staune über die hervorragende Sauce. Dazu ein Elsässer Weißwein. Es ist göttlich und himmlisch – und wie wir das Paradies uns vorstellen: viel zu viel. Unser Freund muss dann doch einige Würste und Fleischstücke zurückgeben und wir haben zwar einen guten Magen, liegen aber schweißgebadet im Bett. Das ist der Preis einer Reise zurück ins deftige Mittelalter.
Neueste Kommentare