Trondheim, 15. September 2016
Unser Schiff legt für einige Stunden in Trondheim an. Wir eilen zur Nidaros Kathedrale durch im Einheitsstil des 20. Jahrhunderts gebaute Straßenzüge. Dann öffnet sich uns ein kleiner Park und wir stehen vor dem Dom, der fremd, wie aus der Zeit gefallen in seinem Umfeld aus modernen Häusern, Geschäften und Verkehr wirkt. Er besitzt nicht die Leichtigkeit und scheinbare Schwerelosigkeit französischer Kathedralen, wirkt wie eine Burg, gedrungen, mächtig, mehr in die Breite, als in die Höhe gerichtet. Eindrucksvoll ist die Frontfassade mit den zahlreichen Skulpturen. Sie erscheinen in ihrer Lebensgröße mächtig und magisch. Was bedeutet das alles? Wir Menschen des 21. Jahrhunderts, die in der Welt von Elektronik, Facebook und Whatsup leben, stehen staunend vor einem solchen Kunstwerk, wie vor einem Rätsel, das uns herausfordert, es zu lösen.
Wir umrunden das Gebäude, das noch seine romanischen Ursprünge zeigt und stehen länger vor der großen Westfassade mit ihren vielen Steinskulpturen, die auf den ersten Blick gotisch wirken, aber doch nicht die Feinheit und den jenseitigen, rätselhaften Gesichtsausdruck besitzen wie etwa die in Reims oder Straßburg. Beim Nachlesen im Kunstführer stellt sich heraus, dass sie im 20. Jahrhundert von norwegischen Bildhauern geschaffen wurden. Die alte Fassade war bei Feuerbrünsten im 14. bis 16. Jahrhundert zerstört worden. Die Skulpturen spiegeln norwegische Geschichte, insbesondere die Zeit der Christianisierung. Uns fällt insbesondere ein Heiliger auf, der in einer Schale drei vom Körper getrennte Köpfe trägt. Das wirkt zugleich rührend und makaber. Es ist Bischof Sigurd, der von England kommend, in Norwegen missionierte. Er fand die Köpfe seiner ermordeten Neffen im Wasser schwimmend und sammelte sie in der Schale auf. Der Bildhauer gab dem Bischof das Gesicht des norwegischen Dichters Aasmund Olavsson Vinje, die Köpfe in der Schale stellen die Architekten Gudolf Blakstad, Herman Munthe-Kaas und Helge Thiis dar, die für die Rekonstruktion der Kathedrale verantwortlich waren. Fürwahr ein sehr feinsinniger Humor!
Dann gehen wir durch das alte Hafenviertel mit den Speicherhäusern, die auf Pfählen stehen und sehr malerisch wirken. Die Holzhäuser sind in kräftigen Farben oder auch weiß bemalt und erinnern an Larsson-Gemälde. Doch der alte Hafen ist auch noch in Form von verrosteten Kränen, Seilwinden und Geleisen gegenwärtig, als Zeugen einer vergangenen Industriekultur. Bei uns wären sie verschrottet worden, hier entfalten sie eine ganz eigene Poesie.
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