München, 28. September 2016

Wir haben einen spätsommerlich warmen Herbsttag in München. Vor meinem Termin am frühen Nachmittag gehe ich in ein italienisches Restaurant. Die Terrasse ist noch ziemlich leer. Ich setze mich an einen Vierertisch, da dort die Sonne am meisten hin scheint. Das geht nicht. Setze Dich da hin. Da hast Du auch Sonne, sagt die Kellnerin in einem sehr bestimmten, fast befehlenden Ton. An dem Zweiertisch kann man vor lauter Schatten die Sonne nur noch erahnen. Doch sie hat Recht: zehn Minuten später ist die ganze Terrasse voll belegt. Einen Vierertisch allein für mich zu verschwenden, wäre recht unwirtschaftlich gewesen. Das Essen ist gut gekocht, nicht besonders ausgefeilt, aber so wie bei Mama und deshalb darf die Kellnerin auch wie Mama ihre Gäste herumkommandieren. Die Menschen lieben das. Sie zahlen ziemlich viel Geld, obwohl sie es daheim genauso gut kochen könnten.

Ich überlege mir, das gehört doch auch zu unserer Leitkultur: im Freien Essen gehen. Selbst in der ländlichen schwäbischen Kleinstadt, in deren Nähe ich lebe, sind die Straßencafés voll. Aber es ist keine spezifisch deutsche Leitkultur. Eigentlich, denken wir, kommt sie von Italien, aber du findest sie ebenso in Oslo, Wien, Paris, Istanbul und würdest sie auch in Damaskus oder Aleppo finden, wenn die Straßen nicht ausgebombt wären. Es ist also eine Weltleitkultur, der alle gerne frönen, die das nötige Geld haben. Schön, dass dadurch die Menschen auf der ganzen Welt miteinander verbunden sind. (Nur die alten Schwaben, wie mein Vater, liebten es nicht, draußen zu essen. Damals war das noch ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Bayern und Württemberg. Tempi passati).