Komponistin, Sängerin, Kurtisane

Erste Berufsmöglichkeiten für Musikerinnen als Kurtisanen

„Mulieres in ecclesiis taceant,“ schrieb Apostel Paulus (Korinther 14,34). Dieses Verdikt war der Ausgangspunkt dafür, dass Frauen bis in die Neuzeit in der Öffentlichkeit zu schweigen hatten. „In ecclesiis“ bedeutete zur Lebenszeit von Paulus nicht nur „in der Kirche“, sondern auch „bei Volksversammlungen“. Frauen durften auch nicht singen oder musizieren. Dieses Verbot galt streng in der Kirche, wurde aber auch generell auf alle öffentlichen Bereiche ausgedehnt. Allerdings bedeutete dies freilich de facto keineswegs, dass Frauen überhaupt nicht vor einem Publikum gesungen hätten. In der Volkskultur zählten zu den nicht sesshaften Spielleuten, Gauklern oder Joculatores auch Frauen, die als Sängerinnen, Tänzerinnen oder Akrobatinnen die Menschen bei Festen und anderen Gelegenheiten mit ihrer Kunst unterhielten. Allerdings gehörten diese Menschen nicht zur Ständegesellschaft, sondern galten als Gesindel, waren rechtlos und wurden oft verfolgt und vertrieben. Doch es gab auch gebildete Frauen, denen man eigenes Musizieren zubilligte: z. B. adeligen Minnesängerinnen (Trobairitz) in Frankreich wie Beatriz de Dia, Gormonda de Monpeslier oder Alzaïs de Porcairagues. Außerdem war es den Frauen in Klöstern möglich (und dort mussten sie nicht adlig sein), sich mit Musik zu beschäftigen. Das bekannteste Beispiel dafür ist Hildegard von Bingen. Erst in der Renaissance wurde auch Frauen zugebilligt, sich mit Wissenschaften und Musizieren zu beschäftigen. Dies geschah im Rahmen der neu gegründeten Akademien, in denen sich nach antikem Vorbild zumeist Männer über Standesgrenzen hinweg trafen, um sich mit den Dichtern der Antike zu beschäftigen, eigene Gedichte vorzulesen und zu musizieren. Allerdings war auch dort zumeist nicht daran zu denken, dass Frauen von Stand öffentlich als Sängerinnen auftraten. Dies war vielmehr die Angelegenheit der Kurtisanen. Die Antike nachahmend gab es nun die Rolle der cortigiana onesta, die in Dichtung und Musik hochgebildet war und zugleich mit ihrer Schönheit die Männer in ihren Bann zog. Diese Rolle war für nichtadelige Frauen eine der wenigen Möglichkeiten, einigermaßen selbstständig und intellektuell gebildet sich einen Lebensunterhalt zu verdienen. Eine solche Kurtisane war auch Barbara Strozzi.

Barbara Strozzi: früh- und hochbegabt

Sie wurde 1619 als uneheliches Kind der Isabella Garzoni geboren, deren Beiname „La Greghetta“ darauf hinwies, dass sie eine Kutisane war. Der Vater, Giulio Strozzi, in dessen Haus sie mit ihrer Tochter als Dienerin lebte, war selbst ein unehelicher Sohn von Roberto Strozzi, stammte also aus einer alten Patrizierfamilie: Die Strozzis spielten seit dem 14. Jh. in Florenz eine führende Rolle, waren als Bankiers zu Reichtum gelangt und viele ihrer Mitglieder zeigten große Begabungen für Kunst, Literatur und Musik. Roberto Strozzi legitimierte später seinen Sohn Giulio. Dieser wurde in Rom Rechtsanwalt und ein angesehener apostolischer Protonotar. Doch sein hauptsächliches Interesse galt der Literatur. Als er nach Venedig zog, gründete er die Accademia degli Incogniti. Giulio Strozzi war ein viel gefragter Opernlibrettist. So schrieb er u.a. das Libretto für Monteverdis Oper „La finta pazza Licori“. Er hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Oper in Venedig. Offenbar erkannte Giulio Strozzi früh die musikalische Begabung seiner Tochter. 1628 setzte er sie als Erbin ein, adoptierte sie und ermöglichte ihr eine hervorragende professionelle Ausbildung zur Musikerin. Ihr Lehrer war der Komponist Franceso Cavalli, der damals als Organist der Kirche San Giovanni e Paolo arbeitete. Bereits als elfjährige sang sie bei den Accademien und mit 18 Jahren war sie bereits eine bekannte Sängerin. Bereits mit sechzehn veröffentlichte sie ihre ersten Kompositionen über Gedichte ihres Vaters. In der von ihm gegründeten Accademia degli Unisoni übernahm sie eine führende Rolle, sang ihre eigenen Werke und die anderer Komponisten, führte aber auch die Gespräche und Diskussionen. Doch die Accademia diente auch amourösen Begegnungen. Viele junge Frauen aus nichtadeligen Familien wurden damals von ihren Eltern zur Prostitution gedrängt, da dies ein Weg zu Wohlstand und einer gesicherten Altersversorgung war. Zu den Liebhabern Barbara Strozzis zählte Giovanni Paolo Vidman, von dem sie mindestens drei ihrer vier Kinder hatte. Vidmans Familie, die aus Augsburg stammte, war in Venedig einflussreich. So wurde Cristoforo Vidman 1647 Kardinaldiakon der Kirche Santi Nereo e Achilleo. Barbaras Vater hatte das Libretto seiner populären Oper „La finta pazze“ Giovanni Paolo Vidman gewidmet. Wie einige Hinweise belegen, hat Vidman die junge Barbara vergewaltigt. Ihr Vater beklagte das in einem seiner Sonette, das Barbara in ihrer Madrigalsammlung op. 1 vertonte.

Ruhm als Sängerin und Komponistin

Barbaras Strozzi wurde als Komponistin vielfach bewundert. Im Vorwort zu einer ihrer Druckausgaben bezeichnete sie sich als Sappho ihrer Zeit. Sie knüpfte also bewusst an eine der berühmtesten Dichterinnen der Antike an. Ihre Musik zeichnet sich durch eine besonders ausdrucksstarke Gestaltung der Melodien aus. Sie fand erstaunlich modern wirkende Motive, Klänge und Rhythmen, um Freude, Leidenschaft und Trauer auszudrücken. Für die Accademia in Venedig komponierte sie zahlreiche Kantaten. In dieser Kunst brachte sie es zu großer Meisterschaft und wurde z. B. wegen der „Mischung aus Rezitativ und Arie“ noch im 18. Jh. von Johann Pepusch, dem Komponisten der „Beggar’s Opera“, bewundert. Ihr Publikum war die intellektuelle Elite Venedigs, die zu den Veranstaltungen der Accademia kam. Wegen ihres Rufes als Kurtisane waren ihr gesellschaftlich höher angesiedelte Aufführungsorte in Venedig wie die Oper oder gar die Kirchen verschlossen. Dennoch komponierte sie auch geistliche Musik. So widmete sie eine Sammlung von Motetten der musikbegeisterten Anna de Medici, die als Landesfürstin in Innsbruck residierte. Doch auch diese Motetten waren nicht primär für den liturgischen Gebrauch, sondern für die Kammermusik komponiert. Barbara Strozzi genoss offenbar großen Wohlstand. Sie zahlte die Miete für das Haus, in dem sie zusammen mit ihren Eltern und Kindern lebte. Ihrem Liebhaber lieh sie sogar einmal eine beträchtliche Summe. So gelang ihr ein Lebensweg, der es ihr ermöglichte, einigermaßen frei, ohne in den damals engen Fesseln einer Ehe und gar in einem Kloster wie viele andere Musikerinnen im 16. und 17. Jh. gefangen zu sein, sich ihrer Kunst widmen zu können und eine der bedeutendsten Komponistinnen der Musikgeschichte zu werden.  

(Programmheftbeitrag zum Konzert der Landshuter Hofmusiktage am 6. Mai 2022: La Venexiana – Barbara Strozzi: La Virtuosissima Cantatrice)

Verwendete Literatur:

Sandra Müller-Berg: Wie die Komponistin Barbara Strozzi die Kantate erfand, in: Johannes Volker Schmidt und Ralf-Oliver Schwarz (Hrsg.): Fluchtpunkt Italien: Festschrift für Peter Ackermann, Hildesheim 2015, S. 58ff.

Johannes Jops: Zwischen Sacrum und Profanum: Die Sacri musicali affetti von Barbara Strozzi, ebd. S. 72ff.

Ryan Wilson Sullivan: Ironic gender bending in 17th-century Venice, Seminararbeit, Lubbock 2017: https://www.academia.edu/35406116/BARBARA_STROZZI_IRONIC_GENDER_BENDING_IN_17TH_CENTURY_VENICE

Antje Tumat: Barbara Strozzi, MUGi 2004: Barbara Strozzi – MUGI (hfmt-hamburg.de)