Daugendorf, 8. Februar 2017
Nun sind die Weichen gestellt: das englische Parlament hat den Austritt aus der Europäischen Union beschlossen. Ich fühle mich an Heinrich Heines Wintermärchen erinnert: Ja, ganz verschwand die Fuchtel nie, sie tragen sie jetzt im Innern. Die Fuchtel im Innern, das sind heute die Ängste vor dem Fremden, Nationalismus, Rassismus, all die alten Zöpfe, die wir längst überwunden glaubten.
Wird das heutige Datum als Beginn einer neuen Ära eingehen? Eine Ära, in der die Mehrheit der Menschen die Augen vor der Realität verschließt? Mir scheint, dass die allgemein zu beobachtende Regression des Denkens und Fühlens eine Grenze des menschlichen Bewusstseins widerspiegelt. Es wehrt sich dagegen, Realitäten anzuerkennen, die über den eigenen Horizont hinausgehen. Es weigert sich, Eigenes mit Außenstehenden zu teilen, eigene Schuld einzugestehen, verzichten zu können. Es weigert sich, vernünftig zu handeln. Der Klimawandel wird als ein Märchen abgetan. Um das Elend der Flüchtlinge nicht sehen zu müssen, werden die Flüchtlinge als gefährliche Terroristen gebrandmarkt, obwohl sie vor Terroristen geflohen sind. Deshalb werden nun Grenzen und Mauern hochgezogen, und es entsteht eine neue Form der Dummheit, welche die Fakten nicht anerkennt.
Ist das ein Rückfall in einen trotzigen Infantilismus? Oder folgt nun auf das Zeitalter der Aufklärung und Vernunft wieder erneut ein Zeitalter des Glaubens? Vor der Neuzeit wussten die Menschen vieles nicht und mussten sich die Welt mit Glaubensvorstellungen erklären. Das war das „präfaktische“ Zeitalter. Jetzt dagegen weiß die Menschheit viel, aber sie will es nicht wissen. Das ist dann das „postfaktische“ Zeitalter!
Es scheint, dass in diesen Jahren die Weichen für die Zukunft der Menschheit gestellt werden. Werden wir unseren Planeten retten? Wird es vernünftige, faire, demokratisch fundierte, auf das Wohl des Ganzen ausgerichtete Regierungen geben oder wird unsere Welt in egoistische, autoritär beherrschte Staaten zerfallen? Wird die Vernichtung der Natur fortgesetzt und verschlimmert? Wird das Ungleichgewicht zwischen reichen und armen Menschen zunehmen? Wird es Mauern und Schießanlagen geben gegen Menschen auf der Flucht, deren Land durch den Klimawandel austrocknet oder überflutet wird? Wird dadurch der Terrorismus angefeuert?
Heinrich Heines Wintermärchen endet mit Versen über Dantes Inferno: Doch gibt es Höllen, aus deren Haft unmöglich jede Befreiung.
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